Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit – soziale Verantwortung und Umweltbewusstsein im Tourismus 

Mehr als nur Umweltschutz: Die Bedeutung von sozialer Nachhaltigkeit.

Beim Thema Nachhaltigkeit denken viele zunächst an die #FridaysforFuture-Bewegung, Plastikstrohhalme oder den Klimawandel. Doch neben der ökologischen Nachhaltigkeit ist auch die soziale Nachhaltigkeit ein Aspekt, der immer stärker in den Fokus rückt. Denn dabei werden die Bedürfnisse der Gäste, der Mitarbeitenden und der Einheimischen gleichermaßen berücksichtigt. Zwei bayerische Vorreiterprojekte zeigen, wie man soziale Nachhaltigkeit erfolgreich umsetzt.

Handbikerin und Fahrradfahrerin auf einem Radweg vor Bergkulisse
Handbikerin mit Radbegleitung © Chiemgau Tourismus e.V.

Zahlreiche Reisestudien sind sich einig: Bis zum Jahr 2030 werden vor allem Themen wie Digitalisierung, Umwelt und der Trend zu nachhaltigem Reisen die Tourismusbranche stark prägen. Denn Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein rücken bei Reisenden immer stärker in den Fokus und spielen bei der Reiseplanung eine zunehmend wichtigere Rolle.¹

Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen 

Die meisten Studien betrachten Nachhaltigkeit jedoch eindimensional und nur in Bezug auf ökologische Zusammenhänge. In der Matrix für nachhaltige Destinationsentwicklung, einem Hilfsmittel, dass die bayerische Tourismusbranche auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen soll und dabei an die sogenannte „Gemeinwohl-Ökonomie“ angelehnt ist, bezieht sich Nachhaltigkeit auch auf soziale Aspekte wie Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Soziale Nachhaltigkeit beinhaltet demnach auch soziale Verantwortung für die Region und gegenüber den eigenen Mitarbeitenden zu übernehmen. Dazu gehören sozial nachhaltige Rahmenbedingungen wie z.B. faire Bezahlung, die Wahrung von Interessen der Mitarbeitenden, Engagement für den Einsatz gegen soziale Ungerechtigkeit und die Unterstützung gemeinnütziger Projekte.

 

Bayerische Good Practice-Beispiele

Soweit die Theorie – doch wie sieht soziale und ökologische Nachhaltigkeit in der Praxis aus? Wie können Tourismusangebote nachhaltiger gestaltet werden? Das zeigen die Gewinnerprojekte des ADAC-Tourismuspreis Bayern 2023. Der ADAC Bayern zeichnet hier Projekte aus, die dazu beitragen, den Freistaat dauerhaft als Top-Tourismusdestination in Deutschland zu etablieren und zu stärken. Und die folgenden zwei Leuchtturmprojekte aus Bayern haben ihr Angebot sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet, ohne dabei ihre Kernkompetenzen zu vernachlässigen.

Schild für Rollstuhlfahrer für mehr soziale Nachhaltigkeit
Eine gute Ausschilderung mit genauen Informationen ist unerlässlich. Copyright: erlebe.bayern – Jan Greune
Bildergalerie an einer Wand im Hotel einsmehr
73 Zimmer im Hotel einsmehr sind als barrierefrei gekennzeichnet, 8 Zimmer sind zudem rollstuhlgerecht. Copyright: einsmehr Hotel

Besonders (und) nachhaltig 

In Bayerns drittgrößter Stadt Augsburg gibt es aktuell rund 6.200 Betten – doch nur wenige von ihnen sind barrierefrei. Nicht so im Westen der Stadt, denn dort befindet sich das Hotel „einsmehr“. Und dessen 73 Zimmer wurden nach den Kriterien der bundesweiten Kennzeichnung »Reisen für Alle« alle als barrierefrei gekennzeichnet, acht Zimmer sind zudem rollstuhlgerecht.

Doch dies ist nicht die einzige Besonderheit, denn dass „einsmehr“ Hotel ist ein Paradebeispiel für soziale Nachhaltigkeit: Das „einsmehr“ ist ein Inklusionshotel, dass sich gezielt für ein soziales Miteinander und Integration einsetzt – auch bei der Belegschaft. Etwa die Hälfte der derzeit 22 Mitarbeitenden besteht darum aus Menschen mit Handicap. Der Trägerverein des Hotels schafft so bereits seit November 2020 Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit einer (geistigen) Behinderung. Und fördert dadurch aktiv inklusive Strukturen und eine Gesellschaft mit möglichst wenig Hürden. Dafür wurde das Hotel „einsmehr“ mit dem 1. Platz beim ADAC-Tourismuspreis Bayern 2023 ausgezeichnet.

 

 

2 Männer und 2 Frauen sitzen bzw. stehen an einem Tisch
Das „einsmehr“ ist ein Inklusionshotel, dass sich gezielt für ein soziales Miteinander und Integration einsetzt – auch bei der Belegschaft. Copyright: einsmehr-Hotel.

Ökologisches Bewusstsein 

Doch das ist nicht alles, denn auch ökologische Nachhaltigkeit ist Standard im „einsmehr“-Hotel: Zum Frühstück serviert „einsmehr“ den Gästen ein überwiegend regionales (zu 90%) und teilweise biozertifiziertes (zu 60%) Frühstücksbuffet ohne Portionsverpackungen, um unnötigen Müll und damit auch CO2-Emissionen einzusparen. Stattdessen kommen z.B. Demeter-Honig aus der Region, Fairtrade-Kaffee und hausgemachte Marmelade auf den Tisch.

Das Hotel versucht konsequent ökologische Folgekosten zu vermeiden. Sei es durch Energie- und Wassereinsparungen, eine eigene Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und eine E-Ladestation in der Tiefgarage, LED-Leuchtmittel, der Verwendung von ökologischen Putz- und Waschmitteln und Beautyprodukten ohne Mineralöle und Parabene sowie fachgerechtes Recycling und regelmäßige Aufklärungskampagnen für Mitarbeitende.

Mobil trotz Handicap 

Fünf Jahre Arbeit stecken in dem Projekt „7 Handbike-Touren im Chiemgau“ von Chiemgau Tourismus. Handbikes sind Spezialfahrräder, die mit E-Antrieb und/oder mit den Händen angetrieben werden und es so möglich machen, dass auch Menschen die z.B. im Rollstuhl sitzen, Radtouren unternehmen können. Das Problem dabei: Nicht jeder Radweg ist für Handbikes geeignet, denn sie sind oft zu schmal, zu steil, zu viel befahren oder führen über unwegsames Gelände.

Das Projekt hatte daher das Ziel, spezielle Handbike-Radrouten für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu entwickeln. Gar nicht so einfach, denn einerseits müssen die  Radwege barrierefrei bzw. Handbike-tauglich sein, andererseits auch die Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten sowie die Toiletten entlang der Wegstrecke. Zudem ist es unerlässlich, dass die Ausschilderung verlässliche und genau Informationen zur Beschaffenheit des Untergrunds und zu den Steigungsgraden enthält. Denn Handbike-Fahrer*innen können nicht einfach absteigen und schieben, wenn die Kraft ausgeht oder das Rad im Schotter steckenbleibt.

134 Kilometer Fahrspaß für Handbiker*innen

Eine weitere Besonderheit des Projekts ist die Tatsache, dass es auf zwei Ebenen den Inklusionsgedanken in sich trägt: Denn Chiemgau Tourismus hat die Radrouten nicht nur für, sondern auch gemeinsam mit Menschen mit Mobilitätseinschränkungen erarbeitet. Alle Routen wurden vorab ausführlich von erfahrenen Handbikern getestet und anschließend gemeinsam geplant, dokumentiert und schließlich durchgängig beschildert. Daraus sind die „7 Handbike-Touren im Chiemgau“ mit einer Gesamtlänge von 134 Kilometern entstanden, die im Mai 2022 eröffnet wurden.

Ob gemütliche Seeumrundung mit Badepausen oder anspruchsvolle Halbtagestour, für alle Radfahrniveaus wurden passende Routen für ein perfektes Naturerlebnis erarbeitet. Und der ADAC Bayern würdigte das Mobilitätsprojekt beim diesjährigen Tourismuspreis sogar mit dem 3. Platz. Für Stephan Semmelmayr, Geschäftsführer des Chiemgau Tourismus e.V., ist der Preis eine wichtige Anerkennung für die Verbandsarbeit und „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Urlaubsregion für alle Menschen.“

Eine Handbikefahrerin steht mit ihrem Bike bei bestem Wetter vor dem Chiemsee.
Ob gemütliche Seeumrundung mit Badepausen oder anspruchsvolle Halbtagestour: Für alle Radfahrniveaus wurden passende Routen erarbeitet. Copyright: Chiemgau-Tourismus-e.V.

Die Zukunft des Tourismus

Beide Projekte zeigen, dass mit maßgeblichen Innovationen und Angebotserweiterungen nachhaltige Serviceangebote für Einheimische und Gäste gleichermaßen geschaffen werden können. Denn die Kombination von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit im Tourismus hat langfristig nicht nur Vorteile für die Umwelt, sondern auch für die regionalen Gemeinschaften, die Mitarbeitenden und die Wirtschaft.

Durch die Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Aspekten wird es Tourismusakteur*innen gelingen, auch in Zukunft weiter erfolgreich zu bleiben. Denn Nachhaltigkeitsaspekte definieren unbestritten die Zukunft der Tourismuswirtschaft und erfordern in vielen Bereichen Adaptionsfähigkeiten. Tourismusakteur*innen, die schon heute auf nachhaltige(re) Angebote setzen, erfüllen damit eine wesentliche Voraussetzung für einen zukunftsorientierten Tourismus.

 

 

Quellen: [1]  Die Zukunft des Reisens (tn-deutschland.com)

Das einsmehr Hotel ist ein Paradebeispiel für soziale Nachhaltigkeit