Besucherlenkung durch künstliche Intelligenz

Kann das funktionieren?

Wir haben zwei Wisschenschaftler zum Forschungsprojekt AIR befragt, in dem entsprechende Verfahren entwickelt, implementiert und evaluiert werden.

Prof. Guido Sommer, Leiter des WTZ „Innovation und Nachhaltigkeit im Tourismus“ an der Hochschule Kempten
Prof. Guido Sommer, Leiter des WTZ „Innovation und Nachhaltigkeit im Tourismus“ an der Hochschule Kempten, arbeitet an den beiden Use Cases von AIR im Allgäu © Romina Angeli

Das Projekt AIR untersucht die Kernelemente eines Besuchermanagementsystems in sechs deutschen Use Cases zwischen Nordsee und Alpen. Zwei davon befinden sich im Allgäu in der Region Füssen

Was ist das WTZ?

Das Wissenstransferzentrum Innovative und Nachhaltige Tourismusentwicklung gibt es seit eineinhalb Jahren. Wir setzen hier, sichtbar für die Branche, mit Partnern aus der Praxis Dinge um, die nicht nur auf einer theoretischen, akademischen Ebene bleiben. AIR ist eines dieser Projekte, die in Richtung Besucherlenkung und damit eines besseren Besuchermanagements gehen.

„Inwiefern lassen sich Menschen lenken?“

Prof. Guido Sommer
Leiter WTZ „Innovation und Nachhaltigkeit im Tourismus“

Warum sind Use Cases von AIR im Allgäu angesiedelt?

Weil wir zu den gefragtesten Urlaubsregionen in Deutschland gehören, und weil es bei uns punktuell Hotspot-Entwicklungen gibt, die sich heutzutage mittels digitaler Technologien wahrscheinlich deutlich besser managen lassen sollten. Es geht darum, die Besucherströme zu entzerren, um die Erlebnisqualität für die Gäste zu bewahren und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung zu minimieren.

Die meisten Einheimischen wissen genau, was sie dem Tourismus verdanken – Infra­struktur, Wohlstand etc. – und auch für Leistungsträger und Stakeholder ist „degrowth“ als Lösung kaum akzeptabel. Wir sagen deshalb: Lasst uns doch erst mal versuchen, das, was wir haben, besser zu managen und Besucher und Besucherinnen besser in der Fläche zu verteilen. Bei uns gibt’s ja nicht nur Hotspots, sondern auch Cold Spots. Orte, die noch mehr Auslastung vertragen könnten und ebenfalls attraktiv sind.

Was genau wollen Sie mit dem Projekt herausfinden?

Das Ganze ist ein Forschungsvorhaben, ein Pilotprojekt, wo wir in der Praxis Daten modellieren, um daraus Prognosen hinsichtlich des zu­künftigen Besucheraufkommens an ausgewählten Orten abzuleiten. Auf dieser Basis sollen dann Empfehlungen ausgespielt werden. Mit dem AIR-Projekt wollen wir lernen, wir wollen zeigen, dass es funktionieren kann, um anschließend skalieren zu können. Wir möchten keine zu großen Erwartungen wecken, denn wir haben nur begrenzte Mittel für die Sensorik zur Verfügung, können also nicht gleich großflächig Sensoren anbringen und eine große Menge Messdaten nutzen.

Aber wir können anhand von verschiedenen Use Cases die Funktionsweise einer KI testen. Schauen, ob das so funktionieren kann. Welche Daten relevant sind und wie diese zusammenlaufen. Wichtig ist ebenfalls, wie Informationen in den relevanten Kanälen ausgespielt werden und wie viele Leute das dann sehen können. Nur damit werden wir tatsächlich Lenkungseffekte erzielen können. Am Ende des Tages ist der Nachweis zu führen, welche Veränderungen wir tatsächlich bewirken können.

Wie ist der Status quo?

Wir definieren gerade die relevanten Use Cases im urbanen und im ländlichen Füssen. Letzteres könnte etwa die Uferstraße am Hopfensee sein, wo sich oft der Parksuchverkehr staut, was die Aufenthaltsqualität mindert. Dann die enge, kleine Füssener Innenstadt, wo es an schönen Wochenenden ebenfalls sehr voll werden kann. Da hätten wir zwei ganz unterschiedliche Szenarien. Anschließend wird überlegt, welche Sensoren in welchen Fällen sinnvoll sind: WLAN-Zähler, die über das Einloggen von Handys den Füllgrad eines Raums feststellen, was datenschutzrechtlich okay ist, da keine personenbezogenen Daten übermittelt und gespeichert werden. Bodensensorik bei Parkplätzen, Kameras, die mit Schwarz-Weiß-Abgleich arbeiten, oder Laserscanner, die sogar zwischen Fahrradfahrern und Fußgängerinnen unterscheiden können. Es gibt da mittlerweile viele Möglichkeiten.

„Der User entscheidet letztlich selbst“

Prof. Guido Sommer
Leiter WTZ „Innovation und Nachhaltigkeit im Tourismus“

Die größte Herausforderung bei der Besucherlenkung? 

Technisch lässt sich das wohl lösen. Klar, die KI wird am Anfang nicht gleich super funktionieren, denn die ist ein lernendes System, das erst durch Erfahrungen und historische Daten richtig schlau wird. Vielmehr stellt sich die Frage nach der Akzeptanz durch den Menschen: Wenn mir prognostiziert wird, ein gewisser Parkplatz ist um eine bestimmte Uhrzeit voll, und dann ist er das gar nicht, dann kann dies dazu führen, dass solche Hinweise beim nächsten Mal nicht mehr ernst genommen werden. Da müssen wir aufpassen, dass wir die Glaubwürdigkeit des Systems nicht verspielen.

Aber wirklich kniffelig ist die Frage, wie wir mit dem Recommender eine echte Lenkungswirkung erzeugen können. Es müssen attraktive, passende Alternativen angeboten werden. Zudem müssen wir viele Leute erreichen. Und die erreichen wir nur, indem wir unsere Daten offen zur Verfügung stellen, damit sie möglichst in all den Kanälen ausgespielt werden, in denen sich Menschen, die einen Ausflug planen, informieren. Das reicht von Tourenplanungsplattformen wie unserem Partner Outdooractive über Destinationswebsiten bis hin zu Alpenverein, Camping-Portalen, ADAC usw.

Auch der Ausflugsticker Bayern ist ein sehr passender Kanal, und auch Google darf auf die Daten zugreifen und sie nutzen. Damit wir in diesen Kanälen landen, brauchen wir wertvolle und verständliche Daten, die sich, zum Beispiel in Form von Widgets, einfach einbinden lassen. Die BayernCloud als Open Data Hub hat hier eine Schlüsselrolle.

Wollen sich Besucher*innen denn überhaupt lenken lassen?

Das ist ein spannendes Forschungsfeld: Inwiefern lassen sich Menschen lenken? Wie transparent muss sein, dass hier eine Lenkung stattfindet? Wann verschweigt man’s besser, beziehungsweise wann ist das kein Problem? Es soll ja nicht der Anschein einer öffentlich gesteuerten Manipulation erweckt werden. Wir wollen vielmehr Akzeptanz erzeugen. Da sind die Menschen aber ganz unterschiedlich empfindlich. Der Recommender kommt dem entgegen, weil er ja möglichst keine Verbote ausspricht, sondern mehrere Empfehlungen zur Wahl stellt. Der User kann selbst entscheiden. Aber durch viele Infos und schlau ausgespielte Daten versuchen wir trotzdem, eine Lenkung zu erzielen.

Zum Projekt gehört auch „Experimentelle Interventionen zur Cold-Spot-Aktivierung“

Wir reden im Tourismus schon länger von der „carrying capacity“, der Aufnahmefähigkeit eines Raums: Hotspots liegen darüber, Cold Spots darunter. Wir versuchen, Besucher auch in solche Cold Spots zu lenken, das heißt, abseits der Hotspots Angebote machen zu können, die ebenfalls attraktiv sind. Im Austausch mit dem Team des Naturparks Nagelfluhkette zum Beispiel ist über solche Cold Spots gesprochen worden, weil dort die großen Wanderparkplätze fehlen. Hier könnte etwa ein E-Bus super funktionieren, der die Leute am Ort x absetzt und am Ort y wieder abholt. So können Gebiete erschlossen werden, zu denen man eben nicht so problemlos kommt. Man muss aber auch bedenken, dass es in bestimmten Urlaubsgebieten kaum attraktive Cold Spots mehr gibt.

Welches Ergebnis erhoffen Sie sich beim AIR-Projekt?

Dass es funktioniert und alle Seiten profitieren – Gäste­erlebnis und lokale Bevölkerung gleichermaßen.

Das Projekt ist im Januar 2022 gestartet und auf drei Jahre angelegt. Wie geht es danach weiter?

Wenn wir erklären können, wie der Recommender gut funk­tionieren kann, wenn also der Pilot steht, dann kann er in die Praxis ausgerollt werden. Dazu braucht es dann die nötigen Mittel und Strukturen.

„Wir müssen die Leute besser verteilen“

Prof. Guido Sommer
Leiter WTZ „Innovation und Nachhaltigkeit im Tourismus“