Mobil im Urlaub – aber nachhaltig
Touristische Mobilität – wie kommt man komfortabel und nachhaltig ans Ziel?
Tourismus ohne Mobilität ist undenkbar. Denn ein Urlaub beginnt nun mal mit der Reise zum Urlaubsort. Und am Ziel angekommen, braucht man ebenfalls Mobilitätsmöglichkeiten, um touristische Attraktionen zu besuchen, einkaufen oder essen zu gehen. Aber touristische Mobilität sollte heutzutage nicht mehr nur komfortabel, sondern auch nachhaltig sein. Wir zeigen am Beispiel von EMMI MOBIL in Bad Hindelang auf, wie beides gelingen kann.
Reisen ohne Auto – nach wie vor selten
Gerade in ländlichen Region und kleineren Destinationen ist das vorherrschende Verkehrsmittel im Urlaub nach wie vor der PKW, gefolgt von Wohnwagen oder Wohnmobil. Im Jahr 2021 fanden 30,3 Millionen Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands mit einem dieser drei Verkehrsmittel statt. Demgegenüber stehen nur 5,2 Millionen Reisen mit Bus und Bahn. Der Wunsch nach einem ökologisch nachhaltigen und möglichst sozialverträglichen Urlaub ist zwar groß und steigt stetig an, die tatsächliche Umsetzung fällt jedoch meist dem sogenannten „Attitude-Behaviour-Gap“ zum Opfer.¹ Deswegen sind allein der touristische Verkehr innerhalb Deutschlands sowie die Reisen der Deutschen ins In- und Ausland für drei Viertel der durch den Tourismus induzierten CO2-Emissionen verantwortlich.2
Das Verkehrsaufkommen steigt – der Wunsch nach nachhaltigen Alternativen auch
Mobilität ist daher ein signifikanter Faktor für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Tourismus. Denn das Verkehrsaufkommen im Urlaubs- und Freizeitverkehr wird voraussichtlich weiter ansteigen. Darum benötigt der Tourismus dringend eine nachhaltige Infrastrukturtransformation, die dieses Wachstum langfristig auffangen kann. Vielerorts gibt es noch massive Anbindungsschwierigkeiten an öffentliche Verkehrsmittel, wie Bahn- oder Fernbuslinien. Und wenn ÖPNV-Angebote vorhanden sind, sind die Netzabdeckung und Taktung im Hinblick auf die Mobilitäts- und Flexibilitätsbedürfnisse der Gäste häufig eher mangelhaft.3
Nachhaltige Mobilitätskonzepte: Nicht Zukunft, sondern Gegenwart
Ein ressourcenschonender Umgang mit der Natur ist jedoch essenziell, damit Bayern auch in Zukunft eine (er)lebenswerte Heimat für Einheimische und ein attraktives Reiseziel für die ganze Welt bleibt. Zudem erhöht nachhaltige Mobilität die Gesamtattraktivität einer Destination, fördert langfristig eine zukunftsgerechte Entwicklung der touristischen Nachfrage und wird von den Gästen zunehmend auch erwartet.4 Neue und nachhaltige Mobilitätskonzepte zu entwickeln lohnt sich also doppelt: Einerseits um die gesetzten Klimaziele von Deutschland zu erreichen, andererseits um die Attraktivität der ganzen Region zu stärken – für Einheimische und Gäste.
Vorreiter Bad Hindelang: Die nachhaltige Mobilitätslösung EMMI MOBIL
Ein Vorreiter in Sachen nachhaltiger Mobilität ist die Marktgemeinde Bad Hindelang im Allgäu. Für ihr innovatives Mobilitätskonzept „EMMI-MOBIL“ ist sie bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
Denn die Gemeinde Bad Hindelang setzt bereits seit Dezember 2021 auf zwei elektrisch betriebene Kleinbusse mit jeweils acht Sitzplätzen, genannt „EMMI MOBIL“, um die Lücken im öffentlichen Nahverkehr zu schließen. Das EMMI MOBIL – kurz für „emissionsfrei miteinander individuell“ – agiert dabei als Zubringer zu den bestehenden Hauptlinien im ÖPNV und bindet Ortsteile an, die der ÖPNV nicht erreicht. Den Gästen wird die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln dadurch deutlich erleichtert, der Individualverkehrt reduziert. Zudem können Gäste und Einheimische EMMI MOBIL mit einer Gäste- bzw. Bürgerkarte sogar kostenfrei bzw. kostengünstig nutzen. Dadurch löst das App-basierte System das Problem der Vor-Ort-Mobilität im ländlichen alpinen Raum bequem, umweltbewusst und funktionell.
EMMI MOBIL – so funktioniert das Rufbussystem in Bad Hindelang
Max Hillmeier: „EMMI MOBIL ist die perfekte Mobilitätslösung für den ländlichen Raum“
Wir haben Max Hillmeier, Tourismusdirektor von Bad Hindelang, gefragt, wie es zur Idee und Entwicklung von EMMI MOBIL kam, welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gab und wie sich die Verkehrssituation in Bad Hindelang dadurch verändert hat.
Welche Gründe führten zur Entstehung und Konzeption von EMMI MOBIL?
Max Hillmeier: Bereits 2019 wurde in Bad Hindelang ein Lebensraumkonzept entwickelt – in Zusammenarbeit mit Einheimischen und Gästen. Eine Bürgerbefragung hat dabei offengelegt, dass viele sich eine Reduzierung des Individual- und Parksuchverkehrs wünschen – zum Schutz von Luft, Klima und Natur. Denn die Luft in Bad Hindelang wurde von der WHO als eine der besten weltweit ausgezeichnet. Zudem ist die Hochalpine Allgäuer Alpwirtschaftskultur in Bad Hindelang laut der Deutschen UNESCO-Kommission ein immaterielles Kulturerbe. Und das „Ökomodell Hindelang“ regelt hier bereits seit 35 Jahren das nachhaltige Miteinander von Landwirtschaft und Natur.
Den Bad Hindelangern ist daher schon seit Langem bewusst: Um diese einzigartige Naturlandschaft zu erhalten, müssen wir schonend mit ihr umgehen. Zudem gab es zu diesem Zeitpunkt eine Gesetzesnovellierung im Bundespersonenbeförderungsgesetz, die es möglich machte, als Kommune die Idee mit dem Ruf-Bus-System umzusetzen, da die „On Demand“- und „Last Mile“- Philosophie den Bedarf direkt an Ort und Stelle deckt, und zwar genau dann, wenn man Mobilität auch braucht. Daher war dies für uns die ideale Lösung und eine perfekte Ergänzung zum ÖPNV.
Was waren die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Definitiv die rechtlich-bürokratischen Hürden. Denn neben den vom Freistaat organisierten Verkehrsangeboten der Eisenbahnen (SPNV) wird der allgemeine ÖPNV von den Landkreisen und kreisfreien Städten als Aufgabenträger organisiert. Die Gesetzesnovellierung war sowohl für uns als auch für das Landratsamt und die Regierung von Schwaben neu und noch nicht praxiserprobt. Daher haben wir uns hierzu an den auf ÖPNV-Angebote spezialisierten Prozessanwalt Professor Dr. Holger Zuck aus Stuttgart gewandt, der uns eine große Hilfe bei der Bewältigung der zahlreichen zu beachtenden Gesetzesparagrafen war.
Und es gelang uns das regionale Busunternehmen „Komm mit“ als Betreiberfirma zu gewinnen. Der Gemeinderat wollte das Rufbussystem umgehend einführen, darum waren wir froh über diese zentrale Lösung. Zudem haben wir heute die ioki GmbH als Partnerfirma für die App-Technologie und die Firma WIIF für die Konzeption und Erstellung des Businessmodells, sowie die operative Umsetzung mit an Bord.
War die technische Umsetzung von EMMI MOBIL schwierig?
Die technische Umsetzung war anspruchsvoll. Zunächst sind hierfür unzählige virtuelle Haltestellen definiert worden, die dann in der App hinterlegt worden sind. Heute gibt es in ganz Bad Hindelang keinen Fleck, an dem eine EMMI MOBIL-Haltestelle mehr als 100 Meter entfernt ist. Diese ganzen Parameter in der App zu füttern war sehr viel Arbeit. Außerdem mussten wir Fahrerinnen und Fahrer generieren, was ebenfalls nicht einfach war. Aber wir haben ein sensationelles Team gefunden, bestehend aus zwei hauptberuflichen Fahrerinnen und Fahrern und mehreren auf Teilzeit-Basis. Uns war wichtig, dass hier die Chemie passt und sie freundlich und aufmerksam sind – denn die App und das System ist das eine, aber auch der Faktor „Mensch“ ist bei so einem Service entscheidend.
Wie wird EMMI MOBIL überhaupt finanziert?
Finanziert wird das Projekt vorwiegend aus dem Kurbeitrag und zu sehr geringen Anteilen auch aus der Bürgerkarte und über die Einnahmen aus unseren Parkgebühren. Die Kosten von 150.000€ pro Jahr pro Fahrzeug sind zwar hoch – aber bisher konnten wir sie aus dem Tourismushaushalt decken. Leider gibt es in Bayern für Gemeinden aktuell kaum relevante Fördermöglichkeiten für derartige Projekte.
Hat sich die Verkehrssituation in Bad Hindelang durch EMMI MOBIL verändert?
Inwieweit sich die Verkehrssituation dadurch verändert hat, lässt sich natürlich nicht ganz genau messen, aber wir sind sehr zufrieden mit der Anzahl der Fahrgäste und dem Feedback, dass wir von ihnen erhalten. Denn inzwischen haben wir über 18.000 Fahrgäste bedient und damit sehr viele PKW-Kilometer eingespart, mindestens einmal um die Welt! Zudem ist spürbar, dass insbesondere der Parkplatz „Auf der Höh“ am Ortsende von Hinterstein, ab welchem dann der Giebelhausbus ins Naturschutzgebiet fährt, weniger voll ist. Und die Fahrgäste haben EMMI MOBIL auch durchwegs positiv bewertet: Denn 50 Prozent der Fahrgäste haben bereits eine Feedback-Bewertung hinterlassen und dabei 4,8 von 5 möglichen Punkten vergeben.
Was ist das Besondere an EMMI MOBIL? Könnte man nicht einfach auch ein Taxi rufen?
Das großartige ist: EMMI MOBIL ist die Lösung für den ländlichen Raum. Weil man damit direkt ab der Haustüre mobil ist. Viele besitzen inzwischen kein Auto mehr – besonders junge Menschen, die in der Stadt wohnen. Aber auch sie möchten im Urlaub ab der Haustüre mobil sein. Mit EMMI MOBIL ist die sogenannte „letzte Meile“ sichergestellt – sogar schon bei der Anreise, da EMMI MOBIL auch vom Busbahnhof ins Quartier genutzt werden kann. Im ländlichen, touristischen Raum sind diese Elektrokleinbusse daher die ideale Lösung für die Mobilität der Zukunft.
Die durchschnittliche Wartezeit von EMMI MOBIL beträgt derzeit 8 Minuten. Also gerade noch genug Zeit, um den Rucksack fertig zu packen oder die Ski-Schuhe zu holen. Man kann EMMI MOBIL aber auch schon 24 Stunden im Voraus buchen. Im Gegenzug zur Taxinutzung oder ähnlichem, setzt EMMI MOBIL auf Intermodalität, also die Nutzung und Kombination verschiedener Verkehrsmittel im Verlauf eines Weges. Mithilfe der App finden Nutzer*innen daher immer das beste Kombinationsangebot von EMMI MOBIL und ÖPNV.
Im Laufe des Jahres 2023 wird die App den Nutzenden sogar über die Staats- und Gemeindegrenzen hinaus die besten ÖPNV-Verbindungen anzeigen. Die Nutzung von EMMI MOBIL wird bei der Routenplanung aber nur vorgeschlagen, wenn innerhalb von 30 Minuten kein Bus fährt oder das gewählte Ziel generell nicht vom Linienverkehr abgedeckt wird. Dies ist eine rechtliche Verpflichtung des Ride-Pooling-Ansatzes: Parallelverkehr muss ausgeschlossen werden, wenn bereits eine ÖPNV-Linie besteht.
Nutzen auch viele Einheimische das nachhaltige Mobilitätskonzept?
Ja, 10 Prozent der Nutzungen kommen aktuell über die elektronische Bürgerkarte. Hier gibt es ein Mobilitätspaket für 99€ pro Jahr – darin sind alle Linienbusse im Gemeindegebiet, der Anschluss nach Sonthofen und der besagte Bus ins Naturschutzgebiet inkludiert. Sowie eine Parkkarte, um es niederschwellig zu machen und viele zu motivieren, nicht nur eine Parkkarte zu kaufen. Eine gute Akzeptanz ist uns sehr wichtig.
Alle über 80-jährigen Einheimischen können sogar exklusiv einen Telefonservice über die Tourist-Information nutzen, sind also nicht an die App gebunden. Denn schließlich sollen alle Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, EMMI MOBIL zu nutzen, auch die Älteren. Diese bekommen zudem auch eine extra EMMI MOBIL-Haltestelle direkt vor ihrer Haustür und dürfen noch drei weitere Zieladressen, z.B. Supermarkt, Ärztin oder Enkelkinder, festlegen. Nur Rollstühle können wir leider nicht transportieren.
Werden Sie EMMI MOBIL weiterführen?
Ja, der Gemeinderat hat erst kürzlich entschieden, dass EMMI MOBIL auch die kommenden Jahre weiter betrieben wird, der großartige Erfolg und die tollen Fahrgastzahlen sprechen für sich. EMMI MOBIL hat Bad Hindelang außerdem eine große Aufmerksamkeit in den Medien und ein rundum positives Image verschafft, denn wir haben zahlreiche Auszeichnungen für unser Mobilitätskonzept erhalten: Den mit 20.000€ notierten 1. Platz beim Vitalpin Klimainvest Preis in Innsbruck, den ARGE Alp-Preis 2022, den 3. Platz beim Deutschen Tourismuspreis 2022 und den 2. Platz beim ADAC-Tourismuspreis Bayern 2023.
Welche Tipps haben Sie für andere Regionen, die ebenfalls nachhaltige Mobilitätskonzepte entwickeln möchten?
EMMI MOBIL ist für mich die ideale Mobilitätsphilosophie im ländlichen Raum, denn EMMI ist bedarfs- und routenoptimiert und damit ein optimaler Service für Einheimische und Gäste gleichermaßen. Gerade als Tourismusort ist EMMI MOBIL für uns ein optimaler Service – die Gäste sind allesamt begeistert. Aber für die Realisierung eines solchen Projekts braucht es – gerade zu Beginn – viel Expertise in rechtlichen Belangen und ein gutes Kostenkonzept. Man muss gleich zu Beginn mit den Aufgabenträgern des ÖPNV sprechen, um gemeinsame Lösungen zu finden. Dennoch ist es mit viel Willenskraft möglich, ein solches Mobilitätskonzept auch andernorts zu etablieren. Und man trägt damit nachhaltig zu mehr Lebens- und Urlaubsqualität bei.
Vielen Dank für das Interview!
Nachhaltige Mobilität: Motor für Tourismus und Destinationsentwicklung
Wir halten fest: Nachhaltige Mobilitätentwicklung ist gut fürs Klima, für den Tourismus und die Destinationsentwicklung an sich. Denn eine langfristig nachhaltige Verkehrstransformation stärkt nicht nur den Tourismus in der Region, sondern auch seine Daseinsberechtigung und Akzeptanz. Darum beteiligen sich inzwischen immer mehr Regionen, Kommunen und Städte aktiv an einer Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit im Bereich Mobilität. Denn nur mit spannenden, neuen Ansätzen, wird es möglich sein, Mobilität nachhaltig, modern und auf die Bedürfnisse der Nutzenden hin auszurichten.
Quellen:
¹RA Reiseanalyse 2022; Datenbasis: Deutschsprachige Bevölkerung, ab 14 Jahren in Deutschland – Urlaubsreisen 2021 ab 5 Tage Dauer.
²UNEP/ UNWTO 2008 ; BMWI Mobilitätsbericht 2017; Mobilitätskonzepte für ländliche Tourismusregionen, bundesweite onlinebasierte Einwohnerbefragung, 2015.
³Ländliche Mobilität | Ländliche Räume | bpb.de
⁴Nachhaltige Tourismusmobilität: Neu denken, vernetzen & erleben (dwif.de)