Blick über den Zaun

Mit sanftem Druck und Rentierfleisch

Nachhaltig in die Zukunft? Gerne, aber wie? Für verträgliche Tourismuskonzepte gibt es die unterschiedlichsten Lösungsansätze. Vier Beispiele aus aller Welt stellen wir euch hier vor

Ein altes leeres Dorf in Italien

Røros, Norwegen

In der alten Bergarbeiterstadt 

Hier wird nachhaltiger Tourismus richtig gelernt. Und erfolgreich gelebt. Wie verkraftet eine Stadt mit 4.000 Einwohner*innen eine Million Besucher*innen im Jahr, ohne ihre Seele zu verkaufen? Im norwe­gischen Røros, einer ehemaligen Bergarbeiter­stadt und UNESCO-Welterbe, gelingt das scheinbar mühelos. Durch natur­nahe Angebote wie Hundeschlittenfahrten und Wandern, Slow-Food, nachhaltige Unterkünfte. Lokale Spezi­ali­täten wie Rentierfleisch werden gefördert, Restaurants und Geschäfte geschult. Auch Studierende der Uni Trondheim werden mit ein­bezogen. Ergebnis? Røros, das als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt ist, gewinnt jede Menge Nachhaltigskeitspreise, darunter das Gütesiegel „Nachhaltiges Reiseziel“ vom norwegischen Handels- und Gewerbeminister. Norwegen ist das erste Land, das solch ein nationales Gütezeichen überhaupt entwickelt hat.

Die kleine Stadt Røros in Norwegen. Viele der Dächer sind mit Gras bewachsen.
Røros in Norwegen © Adobestock – rpbmedia
Klein, aber giftig: Ein Erdbeerfröschchen sitzt auf einem Blatt in Costa Rica.
Klein, aber giftig: Ein Erdbeerfröschchen auf einem Blatt in Costa Rica © Adobestock – SL-Photography

Costa Rica

Wo Natur und Nachhaltigkeit zum Reisen motivieren

In Costa Rica ist Tourismus seit vielen Jahren gleichbedeutend mit Ökotourismus. Die Urlauber*innen reisen in das mittelamerikanische Land, um Artenvielfalt und unberührte Natur zu erleben. 25 Prozent der Landesfläche stehen unter Naturschutz; rund 87.000 Tierarten sind dort zu Hause – und fünf Prozent der weltweiten Artenvielfalt. Die Unterkünfte? Keine Hotelburgen, sondern vor allem kleinere Häuser, darunter viele Eco-Lodges mitten in der Natur. Eine bereits 1998 entwickelte (und von der UNWTO anerkannte) nationale Nachhaltigkeitszertifizierung zeichnet diese Adressen aus. Nachhaltigkeit ist aber nicht nur im Tourismus das große Ziel, sondern auch gesamtgesellschaftlich: 99 Prozent des gesamten Energiebedarfs stammen aus regenerativen Quellen; Landwirte, die ihren Boden für den Erhalt der Artenvielfalt einsetzen, werden belohnt; bis Ende 2021 will man klimaneutral geworden sein. Costa Rica ist in Sachen Nachhaltigkeit absolut glaubwürdig. Es hat aber auch schon früh erkannt, dass ein Baum, der nicht abgeholzt und verkauft wird, mehr Ertrag bringt: Weil sich dort Tukane und Faultiere wohlfühlen, weil diese TouristInnen anlocken und diese nicht nur einmal Geld ausgeben – sondern immer wieder aufs Neue. Solange der Baum steht.

Weißensee, Österreich

Vermeintlich verschlafen, in Wirklichkeit ganz vorne dran

Am Kärntner Weißensee, der in rund 1.000 Metern Höhe fern des touristischen Rummels liegt, wissen die Einheimischen längst, dass nur hochwertiger sanfter Tourismus die Naturlandschaft um den See erhalten kann. Die Gemeinde Weißensee hat sich gegen den Bau einer durchgehenden Uferstraße entschlossen, hat Bauland wieder in Grünfläche zurückgewidmet. Die Grundstückspreise gehören zu den höchsten in ganz Kärnten, doch kein Einheimischer verkauft Boden, erst recht nicht an Investor*innen. Auch der fjordartige See wird in Ruhe gelassen. Motorboote und Wildbaden sind verboten, dafür kann man mit einem Limnologen und Berufsfischer zum „Angel-Guiding“ gehen. Im Winter sind nur ökologisch vertretbare Sportarten wie Langlauf, Eislauf (der See friert zuverlässig zu) und Schneeschuhwandern möglich. Tourist*innen, die mit dem Zug anreisen, dürfen sich auf einen komfortablen Transfer ins Hotel freuen, auf Naturpark- und Wanderbusse (die für Gäste mit Mobilitätskarte kostenlos sind) und ein E-Auto namens „Fred“, das gemietet werden kann. Weißensee lebt übrigens vom Tourismus. Und zwar nachhaltig gut.

Weissensee mit türkisblauen Wasser vor Kulisse mit Wäldern in Österreich
Weissensee in Österreich © Joachim Negwer
Ein leeres Dorf in Italien. Die Straßen und Wände sind aus hellem Stein.
Ein Albergo Diffuso in Italien © Adobestock – Stefano Pelicciari

Italien

Was tun, wenn ein ganzes Dorf leer steht? Ganz einfach: Man macht ein Hotel daraus

Malerisch liegen sie in einsamer Natur, diese italienischen Dörfer in den Abruzzen oder im Friaul – und sind oftmals doch so verlassen wie Geisterstädte in amerikanischen Western. Erst der italienische Professor und Tourismusberater Giancarlo Dall’Ara erlöste die menschenleeren Siedlungen aus ihrem Dornröschenschlaf: Er regte an, die aufgegebenen Häuser zu renovieren und aus ganzen Dörfern dezentrale Hotels zu machen. Der Begriff „Albergo Diffuso“ – streng übersetzt „ausgebreitetes Hotel“ – war geboren. Eine Erfolgsgeschichte, denn schon bald herrschte wieder Leben in den Geisterdörfern. Die Einheimischen kehrten zurück, weil es wieder Arbeit gab in der alten Heimat. Und Besucher*innen haben das Gefühl, mittendrin zu stecken in Bella Italia, statt sich mit reiner Kulisse zu begnügen. Rund 100 „Alberghi diffusi“ gibt es bereits in Italien, aber auch international finden sich Nachahmer: Auch in Schmilka in der Sächsischen Schweiz wird das Modell schon angeboten – mit nachhaltiger Bio-Note.