Neue Werte braucht das Land

Wie soll es weitergehen mit dem Menschen, der Wirtschaft, dem Planeten?

Klimaneutralität, Gemeinwohl-Ökonomie und Enkeltauglichkeit gehören zu den neuen Lösungsansätzen, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Eine Einführung von Peter Meroth  

Peter Meroth, der Autor des Textes, lächelt in die Kamera.
Der Autor dieses Textes, Peter Meroth © Andreas Weise

Es war einmal ein heiß geliebter Indikator: das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP genannt. Eine wunderbare Kennziffer, die unsere Wirtschaft und damit unseren Wohlstand bewertet. Ob Autos oder Haarschnitte, Hotelübernachtungen oder Halbleiterproduktion, Billigmode oder Tennisstunden – alles, was in einer Volkswirtschaft einen Preis hat und gehandelt wird, ist hier enthalten. Der Wert einer Volkswirtschaft? Entspricht seiner Wirtschaftsleistung. Und die drückt sich in seinem Brutto­sozialprodukt aus. Und das hatte der allgemeinen Überzeugung nach Jahr für Jahr zu wachsen.

Inzwischen wird das BIP nicht mehr ganz so innig geliebt. Denn es hat ein großes Manko: Es misst zwar den Preis eines Guts oder einer Dienstleistung, fragt aber nicht nach ihrem Wert, nach Nützlichkeit, Sinn oder Unsinn. Es fragt auch nicht nach dem möglichen Schaden. Dafür vernachlässigt es alles, was sich nicht unmittelbar in Preisen ausdrücken lässt. Weil es sich nur auf die bezahlte Ökonomie konzentriert, bleiben wichtige Bereiche der Gesellschaft völlig außen vor – Klima, Umweltschäden, soziale Gerechtigkeit, aber auch das subjektive Wohlbefinden der Menschen. Kein Wunder, dass das BIP als Indikator für den Wohlstand und den Fortschritt einer Gesellschaft immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Schon 1972 warnte der Club of Rome vor den „Grenzen des Wachstums“, weil Bodenschätze und andere Naturressourcen ungehemmt ausgebeutet würden und ihre Erschöpfung drohe. 

Der Planet ist krank und eines ist klar: Schrankenloses Wachstum ist auf Dauer weder möglich noch sinnvoll. Doch welcher Weg führt uns aus dem Schlamassel?

Heute, wo die die Folgen des Klimawandels ebenso stark ins Bewusstsein gerückt sind wie das Wissen um die Endlichkeit des Planeten und seiner Ressourcen, herrscht weltweit grundsätzlich Einigkeit darüber, dass schrankenloses Wachstum auf Dauer weder möglich noch sinnvoll erscheint. Kaum ein Thema beherrscht die Welt zurzeit mehr. Das wird auch in den nächsten Jahren so bleiben – auch und gerade in der Tourismusbranche. 

Doch welche Alternativen haben wir? Bereits jetzt gibt es eine Reihe neuer Denkschulen, Richtlinien und Modelle, nach denen Wirtschaft und Gesellschaft künftig funktionieren könnten, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.

Der Soziologe Harald Welzer sagt auf die Frage, welche Art des Wirtschaftens jetzt angesagt sei: „Unternehmen können sich dafür entscheiden, andere Kriterien anzulegen als Gewinnmaximierung um jeden Preis. Ich bin nicht gegen Kapitalismus. Ich kann mir tatsächlich keine Wirtschaft vorstellen, die ohne unternehmerisches Handeln funktioniert. Aber die Ziele können sich beispielsweise auch am Gemeinwohl orientieren.“

Gemeinwohl-Ökonomie, Enkeltauglich­keit, Klimaneutralität sind Lösungsansätze und Begriffe, die in der Diskussion um diese Themen immer wieder fallen. Und die uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte begleiten werden. Was sich genau dahinter verbirgt, erklären wir Ihnen im folgenden.

Klimaneutral –ein hohes Ziel

Klimaneutral – es ist das Adjektiv der Stunde. Klimaneutrale Lebensmittel und Drogerieprodukte, Kleidung und Waschmittel, Wandfarben und Wundermittel füllen Regale und Onlineshops. Dazu zirkulieren jede Menge Labels und Siegel, die Klimaneutralität zertifizieren. Klingt erst mal gut – man kauft, produziert oder lebt etwas, das das Klima zwar nicht verbessert, aber wenigstens nicht dazu beiträgt, es zu verschlechtern. Doch was genau steckt hinter einer klimaneutralen Hotelübernachtung, Kartoffelsuppe, Stadt? Hier gilt es, verschiedene Ausprägungen zu unterscheiden.

Die Einsparung von CO2 durch die Entwicklung neuer Technologien ist von größter Bedeutung für die Klima­neutralität. Erst dann kommt die Kompensation ins Spiel

CO2-Neutralität: Der ständig wachsende CO2-Ausstoß stellt vermutlich das größte Problem für das Weltklima dar. Seit Beginn der Industrialisierung setzt der Mensch bei der Verfeuerung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Erdgas große Mengen Kohlendioxid frei. Das geschieht bei der Stromerzeugung, in Produktionsprozessen, beim Heizen, in Verbrennungsmotoren. Oder auch bei der Müllverbrennung. Hinzu kommt das CO2, das aus trockengelegten Mooren und tauenden Perma­frostböden entweicht. CO2-neutral ist ein Produkt oder eine Dienstleistung dann, wenn es die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht weiter erhöht. Das ist möglich durch geänderte Produktionsweisen, durch Wärmeisolierung oder -rückgewinnung, durch Verwendung alternativer Verkehrsmittel oder schlicht durch Verzicht. Oft aber gehen Firmen und Staaten den einfacheren Weg, das Kohlen­dioxid-Konto auszugleichen, indem sie ihren CO2-Ausstoß kompensieren und Projekte finanzieren, die Moore wieder befeuchten oder Wälder aufforsten. Oder indem sie CO2 mit technischen Tricks einfangen, komprimieren und in unterirdischen Lagern wegsperren.

Die Treibhausgasneutralität betrachtet viele Gase

Zu Treibhauseffekt und Erderwärmung tragen neben dem CO2 noch weitere Gase bei. Vor allem Methan, das bei Bohrungen aus der Erde entweicht oder auch beim Weitertransport von Öl und Gas. Geflutete Reisfelder setzen ebenfalls Methan frei – und Wiederkäuer, insbesondere die großen Rinderherden, die den Fleischhunger der Menschen befriedigen sollen. Zu den klima­relevanten Gasen in der Atmosphäre zählen außerdem Lachgas sowie einige fluorierte Gase, die für technische Prozesse hergestellt oder dabei freigesetzt werden. Bei einem treibhausgasneutralen Produkt wurden also weder CO2 noch sonstige Treibhausgase freigesetzt oder besser, sie wurden entsprechend kompensiert. Weil sich Methan & Co. technisch nur sehr aufwendig der Atmosphäre entziehen lassen, wird entsprechend mehr CO2 kompensiert. Treibhausneutralität bewirkt also mehr gegen den Klimawandel als reine CO2-Neutralität.

Wissenschaftlich gesehen ist Klimaneutralität das ambitionierste Ziel

Klimaneutralität: Der schwammigste Begriff in der Diskussion um die Rettung des Planeten – und zugleich auch der beliebteste. Wissenschaftlich betrachtet wäre sie die ambitionierteste Lösung. Denn der Begriff impliziert, dass hier sämtliche Effekte menschlichen Handelns, die auf das Klima einwirken, vollständig ausgeglichen werden. So müsste für echte Klimaneutralität bei Flügen auch die wärmende Wirkung von Kondensstreifen berechnet und kompensiert werden. In der Praxis allerdings wird der Begriff der Klimaneutra­lität so beliebig verwendet, dass man sich nie sicher sein kann, was genau darunter verstanden wird. Wer sich für den eigenen Betrieb oder die eigene Produktion eine entsprechende Zertifizierung zulegen möchte, sollte sich also genau informieren, was die ausgebende Organisation konkret darunter versteht.

Emissionsfreiheit: Was sich so schön sauber und gesund anhört, ist in Wirklichkeit die schwächste aller Freiheiten. Denn hier geht es nur darum, dass ein Transportmittel – Auto, Flugzeug, Schiff etc. – im laufenden Betrieb keine Schadstoffe in seine unmittelbare Umgebung abgibt. Was in dieser Rechnung jedoch nicht inbegriffen ist, ist der gesamte Produktionsprozess, angefangen bei der Suche nach Rohstoffen über ihre Gewinnung bis hin zu Verarbeitung und Weiterverarbeitung, mit allen Schritten und Energieformen, die dazu nötig sind. Dazu kommt noch der Betrieb der Autos und die Entsorgung am Ende ihres Lebenszyklus. Emissionsfreiheit ist schön und gut, leistet aber letztlich nur einen sehr kleinen Beitrag für eine bessere Zukunft.

Radeln bei Lindau am Bodensee
Radeln bei Lindau am Bodensee © erlebe.bayern – Gert Krautbauer
Kocherlball am Chinesischen Turm im Englischen Garten in München
Kocherlball am Chinesischen Turm in München © erlebe.bayern – Gert Krautbauer

Gemeinwohl-Ökonomie
damit es allen gut geht

Krisen können das Leben bereichern. Sogar ein so bedrohlicher Einschnitt wie die globale Finanzkrise 2008, als die Immobilienblase in den USA platzte, die Lehmann-Bank pleite ging und das ganze Kartenhaus der weltweiten Spekulationen einzustürzen drohte. Sparer, Ökonomen und Politiker forderten die Zähmung des Raubtier­kapitalismus. Doch auf die großen Worte folgten kaum Taten. 

Bei Attac hingegen, der internationalen Organisation von Globalisierungskritikern, krempelte man die Ärmel hoch. Christian Felber, ihr Sprecher in Wien, erarbeitete mit Freund*innen ein Regelwerk für eine Wirtschaft, die sich statt am Profit am Gemeinwohl orientiert. Felber ist Philologe, Tänzer und Multitalent und veröffentlichte die Ideen der Gruppe 2010 unter dem Titel „Gemeinwohl-Ökonomie“. Fans des Buches gründeten eine Bewegung, um die Reformtheorie in die Praxis umzusetzen. Gern auch unter Berufung auf höchstes Recht, etwa Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Oder auf Artikel 151 der bayerischen Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“

Mehr Menschenwürde, mehr Ökologie, weniger Ungleichheit und ein erfülltes Leben. Kann das gelingen? Anhänger der Gemeinwohl-Ökonomie sagen: ja

Felber fand, dass man neue Formeln brauchte, um wirtschaftlichen Erfolg zu beurteilen. Denn mit „Finanzrenditen für Investitionen, mit dem Finanzgewinn für Unternehmen oder dem Bruttoinlandsgewinn für die Volkswirtschaft messen wir zwar die Mittelverfügbarkeit oder sogar die Mittelakkumulation, aber nicht die Ziel-Erreichung“. Menschliche Kreativität müsse in die Mehrung des Gemeinwohls fließen. Generalthema der Gemeinwohl-Ökonomie ist eine ethische Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die „Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle“ sowie die Verpflichtung auf Menschenwürde, Menschenrechte und ökologische Verantwortung. Die Schritte dahin gibt eine Gemeinwohl-Matrix“ vor. Anhand dieser Matrix erstellen die Unternehmen ihre Gemeinwohl-Bilanz, die extern geprüft und veröffentlicht wird. In einer idealen Gemeinwohl-Volkswirtschaft erhalten die Unternehmen zum Ausgleich für ihren Einsatz Steuervorteile, Kredit- und Handelserleichterungen. Weil die Gewinne dem Unternehmen dienen und nicht externen Investor*innen, fällt der Renditedruck weg; die Unternehmer*innen gelangen zu Freiräumen, die sie gestalten können. Der Drang zum Wirtschaftswachstum schwindet.

Über 600 Unternehmen erstellen bereits ihre Gemeinwohl-Bilanz

Kann das funktionieren? Die GWÖ-Community antwortet mit einer Zahl: Über 600 Unternehmen in Europa und ganz Amerika hätten bereits Gemeinwohl-Bilanzen erstellt. Erste Gemeinwohl-Gemeinden und -Regionen seien in der Entstehung begriffen. Wissenschaftler*innen der Universitäten Flensburg und Kiel haben einige dieser Unternehmen analysiert, darunter zum Beispiel die Öko-Bäckerei „Märkisches Landbrot“ mit 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei der Zertifizierung nach der GWÖ-Matrix erreichte der Betrieb vor drei Jahren bereits 773 von 1.000 möglichen Punkten. Ein guter Wert, erzielt unter anderem durch die Verwendung regionaler Rohstoffe von Demeter-Qualität, durch eigene Brunnen, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und soziale Vorteile für die Beschäftigten mit einem Mindestlohn, der über der Norm liegt. Denn Punkte gibt es nur, wenn ein Betrieb über den gesetzlichen Rahmen hinaus nachhaltig wirtschaftet. 

Schulungen der Chef*innen beispielsweise zählen nicht, denn die Gemeinwohl-Ökonomie geht davon aus, dass die ohnehin notwendig sind. Der Landbrot-Geschäftsführer wurde stattdessen nach den Schulungsstunden für die Reinigungskraft gefragt. Er war erstmal überrascht – fand es dann aber „gut, dass man solche Anstöße bekommt“. Punkte erhielten die Bäcker auch dafür, dass sie ihr Brot zu moderaten Preisen anbieten.

Als Prüfer der Gemeinwohl-Bilanz werden externe, unabhängige Experten berufen. „Das System ist extra so aufgebaut, dass keinerlei Geschäftsbeziehung zwischen Auditor und Unternehmen besteht“, sagt Nils Wittke, früher Umweltbeauftragter bei Ikea und heute Unternehmensberater. Die Kriterien seien auch wesentlich umfassender als etwa bei gängigen Fairtrade- oder Biosiegeln. Dennoch haben sich auch etablierte Unternehmen zur Gemeinwohl-Ökonomie bekannt, darunter die Münchener Sparda-Bank, der Outdoor-Spezialist VauDe, die Krankenkasse Pro Vita. Das oberbayerische Kirchanschöring will die erste Gemeinwohl-Gemeinde Deutschlands werden, Stuttgart hat für zwei Kommunalbetriebe eine GWÖ-Bilanz erstellen lassen.

Auch Viersternehotels haben das Prinzip bereits für sich entdeckt 

Das Berliner Büro für Tourismus und Regionalberatung (BTE) hat mittlerweile schon seinen zweiten Gemeinwohl-Bericht vorgelegt. Dem BTE zufolge unterstützen mehr als 2.000 Unternehmen die Gemeinwohl-Ökonomie. Im Tourismus seien es vor allem Nachhaltigkeitsvorreiter wie das Landgut Stober in Brandenburg und zahlreiche Hotels in Südtirol, darunter auch noble Viersternehäuser wie das „La Perla“ in Corvara. Für viele Touristiker*innen ist Gemeinwohl-Orientierung ohnehin kein Fremdwort, gilt es doch Mitarbeiter*innen zu gewinnen und zu motivieren, vor Ort gute Nachbarschaft zu pflegen und den Kund*innen ein Erlebnis zu bieten, von dem sie noch lange schwärmen.

Enkeltauglichkeit –nicht nur für Omas

Ein Großvater, der für seine Enkelin ein Sparbuch anlegt und jeden Monat eine kleine Summe einzahlt. Eine Großmutter, die ihren Enkel in den Obstgarten mitnimmt und ihm zeigt, wie man Bäume schneidet und Insektenfallen anbringt. Das Wort „Enkeltauglichkeit“ weckt lauter schöne Bilder, die von Wärme, Fürsorglichkeit und Verantwortung erzählen. Womöglich hat es sich auch deshalb zu einer besonders beliebten Formulierung in der Nachhaltigkeitsdebatte entwickelt. Überall taucht der Begriff neuerdings auf: Münster, 2019 zur nachhaltigsten Großstadt Deutschlands gekürt, will mit einer Agenda 2030 „enkeltauglich“ werden. In Davos propagiert die Organisation „Next Generations“ die Enkeltauglichkeit. „Wie wird Coburg enkeltauglich?“, lautete das Thema einer Podiumsdiskussion in der oberfränkischen Stadt, und auch die Gemeinde Kreischa in Sachsen wünscht sich eine „enkeltaugliche Zukunft“. Doch was genau ist damit eigentlich gemeint? 

Enkeltauglichkeit und Nachhaltigkeit bedeuten letztlich immer das Gleiche – es geht darum, die Endlichkeit der Ressourcen zur Basis aller Entscheidungen zu machen

Schon in den 1980er-Jahren mahnten die Grünen: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Damals bedurfte es noch eines ganzen Satzes, um den Menschen ihre Verantwortung für die Natur und unseren Planeten als Heimstatt deutlich zu machen. Der Begriff der „Enkeltauglichkeit“ fasst diesen Satz in einem einzigen Wort zusammen, ist zugleich bildhafter, gefühlsbetonter, weist eine Generation weiter in die Zukunft. Er lässt vor dem inneren Auge kleinere, unschuldigere, hilflosere Kinder aufscheinen. Die keinen Einfluss darauf haben, wie rücksichtslos und verschwenderisch wir mit der Natur und ihren Ressourcen umgehen. Die aber in dem ganzen Schlamassel weiterleben, den Preis für unsere Verantwortungslosigkeit zahlen und den angerichteten Schaden beheben müssen. Das macht die „Enkeltauglichkeit“ zur emotionaleren, griffigeren Variante der Nachhaltigkeit. 

Den Begriff Nachhaltigkeit prägten nicht etwa die Grünen, sondern ein sächsischer Bergwerksexperte. Im Jahr 1713

Tja, und was war noch einmal ganz genau Nachhaltigkeit? Die inflationäre Verwendung des Begriffs in allen möglichen Zusammenhängen hat für Unschärfen in der Definition gesorgt. Vermutlich wurde der Terminus bereits im Jahr 1713 vom sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz geprägt, der sich Gedanken um den Erhalt der Wälder machte und forderte, dass immer nur so viel Bäume geschlagen wurden, wie nachwachsen konnten, damit es „eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe“, wie er in seinem Forstwirtschaftsbuch „Sylvicultura oeconomica“ festhielt. Es ging Carlowitz um Zukunftsfähigkeit, um verantwortungsvolles Wirtschaften. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ins helle Licht der Öffentlichkeit rückte der Begriff der Nachhaltigkeit (schon zu Carlowitz’ Zeiten als „sustainability“ ins Englische übersetzt) jedoch erst 1987, als die damalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland den Vereinten Nationen einen Report zur nachhaltigen Entwicklung vorlegte, den sogenannten Brundtland-Report. Dort wird eine Entwicklung als nachhaltig definiert, wenn sie „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können.“

Wer mehr verbraucht, als nachwachsen kann, lebt von der Substanz

Nachhaltig aber ist das Wirtschaften der Menschheit nicht. Seit den 1970er-Jahren verbraucht sie mehr Ressourcen, als sich regenerieren können. Wie weit wir über unsere Verhältnisse leben, wird am Welterschöpfungstag deutlich, der 2021 auf den 29. Juli fiel. Wie die Organisation Global Footprint Network Jahr für Jahr errechnet, bezeichnet der Welterschöpfungstag den Tag, von dem an weltweit mehr natürliche Ressourcen verbraucht werden, als die Biokapazität des Planeten zu ersetzen vermag. Ein Datum, das Jahr für Jahr vorrückt. Im Jahr 2000 fiel er noch auf den 1. November 2000. Im Jahr 2015 war es bereits am 13. August soweit. In der hoch entwickelten Industrie­nation Deutschland fiel der Tag 2021 sogar auf den 5. Mai. Die Methoden, nach denen der Index ermittelt wird, sind beim Footprint-Netzwerk offen einsehbar. Selbst Zweifler*innen können eine einfache Tatsache nicht übersehen: Wer auf Dauer mehr verbraucht, als nachwachsen oder an Ertrag entstehen kann, lebt von der Substanz. Und hinterlässt den Enkel*innen ein Riesenproblem.

Wer also nachhaltig wirtschaftet, wer sich um Klimaschutz und Bodenvielfalt kümmert, um Artenvielfalt und bewussten Konsum, im Zweifelsfall auch um soziale Gerechtigkeit und Partizipation, der agiert ganz automatisch auch enkelfreundlich. Es klingt nur ein bisschen langweiliger.

Bayern-Botschafter Sebastian Niedermaier mit Sohn und Katze auf seinem Feld
Bayern Botschafter Sebastian Niedermaier mit Sohn auf seinem Feld © erlebe.bayern – Dietmar Denger