Was bringt Tourismus? Wir haben Prof. Alfred Bauer im Interview gefragt

Tourismus macht die Menschen zufrieden

Was bringt uns Tourismus? Nicht nur Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, sagt Prof. Alfred Bauer von der Hochschule Kempten, sondern auch Infrastruktur, Lebensqualität und Zufriedenheit.

Prof. Dr. Alfred Bauer spricht über Tourismus
Prof. Dr. Alfred Bauer © Bayerisches Zentrum für Tourismus

Mal plakativ gefragt: Wie sähe Bayern
ohne den Tourismus aus?

Bayern ohne Tourismus – das kann zwar theoretisch gedacht werden, aber Bayern ohne Tourismus  wäre nicht mehr Bayern. Die Leistungsträger im Tourismus stellen ihre Angebote ja nicht nur Tourist*innen zur Verfügung, sondern auch den Einheimischen. In einer Studie des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT) im April dieses Jahres zur Lebenszufriedenheit in Bayern wurde explizit der Einfluss des Tourismus auf verschiedene Lebensbedingungen erfragt. Dabei zeigte sich, dass in touristisch geprägten Regionen deutlich mehr Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind als in nicht touristisch geprägten Regionen. Der Tourismus ist nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Bayern, sondern mit all seinen gesellschaftlichen und kulturellen Effekten der Kern des bayerischen Lebensgefühls.

In welchen Bereichen macht sich der Tourismus als
Wirtschaftsfaktor bemerkbar – und welcher ist der wichtigste?
Steuereinnahmen, Arbeitsplätze …?

Der Tourismus ist eine klassische Querschnittsbranche, die mit vielen anderen Bereichen der bayerischen Wirtschaft verbunden ist. Tourismus schafft insbesondere in den ländlichen Regionen Bayerns Arbeitsplätze, für die es oftmals keine Alternativen gibt. Beispielhaft zu nennen sind hier das Gastgewerbe, der Einzelhandel und vielfältige Dienstleistungsanbieter. Vom Tourismus profitieren aber auch Wirtschaftsbereiche wie regionale Handwerksbetriebe und Zulieferer wie Bäckereien, Metzgereien, Brauereien und viele mehr. Nicht zu vergessen sind die kommunalen Steuereinnahmen durch den Tourismus.

Man denkt bei Tourismus und Wirtschaft ja oft nur an direkte
wirtschaftliche Effekte wie Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
Welche indirekten Effekte sind ebenfalls wichtig, werden aber häufig übersehen?

In der bereits genannten Studie des BZT zur Lebenszufriedenheit in Bayern wurde auch nach den Auswirkungen des Tourismus in den bayerischen Regionen gefragt. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten sind sich der direkten wirtschaftlichen Effekte wie der Schaffung von Arbeitsplätzen und einer finanziellen Einnahmequelle für die Bevölkerung bewusst. Jede*r Zweite sieht auch, dass durch den Tourismus Freizeit- und Kulturangebote entstanden sind, die auch der lokalen Bevölkerung zur Verfügung stehen und damit ein attraktives Lebens- und Wohnumfeld schaffen.

Welche Wirtschaftszahlen im Tourismus haben sich
in den letzten Jahren am stärksten verändert – und
was bedeutet das für die Zukunft der Branche?

In den vergangenen Jahren schien es im Tourismus nur einen Weg zu geben: schneller – höher – weiter! Jährlich ähnlich lautende Pressemeldungen verkündeten den Erfolg der Tourismusbranche mit immer wieder neuen Tourismusrekorden weltweit, in Bayern und in seinen Regionen. Und dann wurde diese von Wachstum verwöhnte Branche im Jahr 2020 aus voller Fahrt zu einer Vollbremsung gezwungen. Die Umsatzausfälle durch die Coronapandemie beliefen sich laut dwif-Corona-Kompass in Bayern in den Jahren 2020 und 2021 auf zusammen ca. 23,7 Milliarden Euro.

Die Krise legte die Verwundbarkeit der Tourismusbranche offen und zeigte, dass sich der Tourismus teilweise als nicht widerstandsfähig erweist. Und die nächste Krise ist schon da, und weitere werden folgen. Vor diesem Hintergrund ist die dringende Frage, welche Voraussetzungen und welche Denkansätze die Tourismusbranche braucht, um krisenresilienter zu werden. An Maßnahmen fallen mir ein:  Identifikation neuer Quellmärkte, Ausrichtung des Angebots auf die (veränderten) Bedürfnisse der (alten) und neuen Quellmärkte, Neustrukturierung des Angebots, Qualität vor Quantität, Klimaanpassungsmaßnahmen, Entwicklung von Lebens- und Urlaubsräumen. Und bei allen Bemühungen sind die durch Covid beschleunigten Trends Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu  berücksichtigen.

„Der Tourismus muss noch viel resilienter werden“


Welche Entwicklung für den Tourismus
in Bayern halten Sie für sinnvoll?

Ich muss darauf hinweisen, dass es durchaus unterschiedliche Einschätzungen hierzu in den  Regionen gibt, weshalb diese Frage für jede Region beantwortet werden muss. Bei der touristischen  Weiterentwicklung der Regionen sollten nach Meinung der Bayer*innen vor allem naturverträgliche  Tourismusangebote und qualitativ hochwertige Angebote umgesetzt werden. Jede*r Zweite der  Befragten wünscht sich zudem die stärkere Einbeziehung der einheimischen Bevölkerung in die  touristische Weiterentwicklung ihrer Region.

Mit den „Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“ haben wir seitens des BZT versucht, Impulse für die touristische Zukunft zu geben. In den meisten Szenarien ist die unversehrte Natur in Bayerns Urlaubsregionen die Basis für den  Tourismus. Im Szenario „Neue Verträglichkeit“ wird ein integrativer  Ansatz wirksam, der ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt, damit Bayern auch künftig ein attraktiver Zukunftsraum für Gäste und Einheimische bleibt. Die operative Umsetzung dieser Zielvorstellung hat nun die Bayern Tourismus Marketing mit der „Nachhaltigen  Destinationsentwicklung in Bayern“ gestartet. Mit der an die Gemeinwohl-Ökonomie an gelehnten Matrix bietet sie ein Tool an, mit dem die gemeinsame Vision für eine nachhaltige Destinationsentwicklung in Bayern befeuert wird.

Zur zukunftssicheren Aufstellung des Tourismus ist es wichtig, sich mit den negativen Auswirkungen zu beschäftigten, die von den Einheimischen mit dem Tourismus in Verbindung gebracht werden. Neben Verkehrsbelastungen müssen auch die Themen höhere Lebenshaltungskosten und Mangel an bezahlbarem Wohnraum  angegangen werden, ebenso wie überteuerte Immobilien- und Grundstückspreise.

Lässt sich quantifizieren, wie Tourismus auf die
Entwicklung von Infrastrukturen einwirkt, die ja nicht
nur den Gästen nützen, sondern auch den Einheimischen?

Dazu liegen uns keine Zahlen vor. Ein mit Mitteln der Tourismusförderung angelegter Wanderweg, der auch von der einheimischen Bevölkerung genutzt wird und damit zur empfundenen Lebenszufriedenheit beiträgt, lässt sich eben nur qualitativ bewerten. Aber wie unsere Studien zeigen, ist den Einheimischen durchaus bewusst, dass die vielfältigen Angebote in den Bereichen Freizeit und Kultur wegen des Tourismus ausgebaut wurden und heute durch die Tourismuseinnahmen gesichert werden.

Welche Gefahren bedrohen aktuell
den Tourismus als Wirtschaftsfaktor?

Auf dem World Travel Market (WTM) 2022 malte ein Tourismuskollege ein pessimistisches Bild mit Blackouts und Gasrationierungen, wenn der Winter besonders kalt werden sollte. Neben der Energiekrise mit den steigenden Energiekosten sind – laut Befragungen des DEHOGA Bayern – speziell die gastgewerblichen Betriebe vom Steigen der Lebensmittelpreise und der Personalkosten bedroht. Knapp 50 Prozent der Unternehmen der Tourismusbranche beschreiben laut der Herbstkonjunkturumfrage des DIHK ihre Finanzsituation als problematisch. Der bereits seit Jahren beklagte Fachkräftemangel entwickelt sich zu einem generellen Arbeitskräftemangel, und es ist zu vermuten, dass die Themen Nachfolge und Betriebsfortführung durch diese Rahmenbedingungen verstärkt aufkommen werden. Auch steht immer noch das Thema Corona als Drohung im Raum.

„Auch die Einheimischen stehen jetzt im Fokus“


Der Tourismus kann sich schwer entwickeln,
wenn Arbeitskräfte fehlen. Was kann hier getan werden?

Neben den Bemühungen der einzelnen Betriebe bemühen sich sehr viele Branchenverbände deutschlandweit um die Rekrutierung von Arbeitskräften mit neuen Arbeitszeitmodellen, höheren Bezahlungen und verschiedenen Anreizsystemen. Die Bayern Tourismus Marketing versucht mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums zusammen mit vielen Partnern aus der Tourismuswirtschaft die Vielfalt der Tourismusbranche in einer breit angelegten Kampagne  darzustellen und die Attraktivität der bayerischen Tourismusbranche als Arbeitgeber zu zeigen.

Tourismus bringt ja nicht nur Geld. Sollte er daher
nicht auch mit anderen als rein wirtschaftlichen
Kennzahlen gemessen werden?

Die Zahl der Studien, die sich mit den Einheimischen beschäftigen, hat in den letzten Jahren  zugenommen. So entwickelt z. B. das Deutsche Institut für Tourismusforschung an der FH Westküste einen Tourismusakzeptanzsaldo-Index, der die Tourismusakzeptanz in der Perspektive für den Wohnort und für die Einwohner*innen persönlich misst. Bei der „Nachhaltigen  Destinationsentwicklung in Bayern“ geht es im Kern ja darum, dass bei der Zukunftsraumgestaltung die Bedürfnisse der Einheimischen an ihren Alltagsraum und die der Gäste an ihren Urlaubsraum in Balance stehen. Aus diesem Grund hat das BZT im April 2022 für die bereits zitierte Studie eine  bayernweite Befragung durchgeführt, um mehr über die Lebenszufriedenheit, das  Tourismusbewusstsein und die Tourismusakzeptanz in Bayern zu erfahren. Neben der Bewertung der  Auswirkungen des Tourismus für den Wohnort, für die Region und die Befragten persönlich  wurden auch die touristischen Weiterentwicklungsmöglichkeiten abgefragt. Zudem gibt die Umfrage  Einsichten in die Zufriedenheit mit verschiedenen Lebenssituationen und wie der Tourismus in den  Regionen darauf einwirkt.

Die Fragestellungen wurden vom Institut für Nachhaltige und Innovative Tourismusentwicklung (INIT) der Hochschule Kempten und von Centouris, einem Institut der Universität Passau, aufgegriffen und in den Destinationen Bayerischer Wald und Allgäu mit seinen  vier Landkreisen durchgeführt, um Einsichten in die subjektive Einschätzung der Einwohner*innen  zu erhalten. Zurzeit arbeiten die Mitarbeiter*innen der Institute an der Entwicklung von  Lebensqualitätsindizes, die der Politik und den Tourismusverantwortlichen Ansatzpunkte für die  Alltags- und Urlaubsraumentwicklung liefern sollen.